Marienplatz, 86956 Schongau, Deutschland
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Semerwirt, heute Musikschule
Quelle: Pfaffenwinkel - Natürlich Oberbayern!, Autor: Stadt Schongau
Beschreibung
Im 16. Jh. übernachteten im Gasthof "Zum Stern" Kaufleute, die ihre Waren im nahe gelegenen Ballenhaus lagerten. In der jetzigen Musikschule, bürgerliches Palais aus der Barockzeit; im ersten und zweiten Stock reiche Stuckierung von Franz Schmuzer; 1902 bis 1926 Rathaus, älteste Erwähnung 1580 als Gasthof "Zum Stern".
Audiokommentar zur Station 3, Semerwirt, heute Musikschule
Auszug aus dem Audiokommentar von Oliver Pötzsch
Ich hoffe, Sie sind anständig gekleidet und Ihre Schuhe sind sauber, denn Sie stehen nun vor dem nobelsten Lokal der Stadt. Na gut, in Wirklichkeit stehen Sie jetzt vor der städtischen Musikschule, aber zu Scharfrichter Kuisls Zeiten befand sich hier das Gasthaus „Zum Goldenen Stern“, das lange im Besitz der Familie Semer war. Wie mächtig diese Wirtsfamilie war, merken Sie auch daran, dass in einigen meiner Romane ein gewisser Karl Semer der erste Schongauer Bürgermeister ist. Das Gotische Bürgerhaus wurde schon 1515 erbaut und diente Anfang des 20. Jahrhunderts vorübergehend als Rathaus. Treppenhaus, einige Türgerüste, der wertvolle Stuck und die erhaltene Hauskapelle stammen noch aus dem 17 und 18. Jahrhundert.
Die Henkersmahlzeit war beileibe nicht Wasser und trocken Brot. Ich habe in einer Chronik die Menüfolge einer Augsburger Henkersmahlzeit aus dem 18. Jahrhundert gefunden. Sie zog sich über drei Tage hin. Das Menü ganz aufzuzählen, würde hier den Rahmen sprengen – und ich will Ihnen auch nicht unnötig den Mund wässrig machen. Lassen Sie mich nur sagen, dass es Kaffee mit Schmalzbrezen, Butterpastete mit Kalbfleisch, gebackenen Fisch, gebratene Hühner und Kapaune gab. Und dazu natürlich jede Menge Alkohol. Vor der Hinrichtung reichte der Wirt dann noch mal einen ganzen Liter Wein extra, und zwar nicht den schlechtesten!
Warum es das Ritual der Henkersmahlzeit gibt, ist bis heute nicht ganz geklärt. Vermutlich wollte man in den alten Zeiten den zum Tode Verurteilten gnädig stimmen, damit er nicht als hungriger Rachegeist von den Toten zurückkehrte. Man stelle sich einen solch armen Galgenvogel vor, der sein Leben nie mehr hatte als Gerstenbrei und Grütze – und dann das! Nur, ob die Delinquenten wirklich immer mit gottgesegnetem Appetit aßen, so kurz vor dem Gang zum Schafott? Zumindest der Alkohol erfüllte seinen Zweck: Die Verurteilten bekamen von ihrer Hinrichtung nicht mehr allzu viel mit.
Im Stern stiegen damals reiche und bekannte Gäste ab, so auch der französische Schriftsteller Michel de Montaigne, der das Gasthaus im 16. Jahrhundert in seinem Reisetagebuch erwähnte. In meinem Roman „Die Henkerstochter und der Fluch der Pest“ ist es jemand von fürstlichem Geblüt, der dort einige Zimmer bezieht. Magdalena werden wir hier nicht antreffen. Sie sucht eben ihren Vater, der sich in den zwielichtigen Tavernen hinter dem Ballenhaus herumtreibt, zum Beispiel in der Glocke. Hier trinkt Jakob Kuisl gerne einen über den Durst. Denn auch ein Scharfrichter braucht mal ein Bier. Allerdings hatte der Henker seinen eigenen Krug und auch seinen ganz speziellen Platz. Bevor er die Wirtstube betrat, musste er erst um Erlaubnis fragen. Aber wer sagt schon groß nein, wenn ihn der Henker um etwas bittet?