Überfahrtstraße 10, 83700 Rottach-Egern, Deutschland
entfernt
|
Gasthof zur Überfahrt - Tegernseer Bauerntheater
Quelle: Alpenregion Tegernsee Schliersee
Beschreibung
Das ehemalige Klosterlehen am Urfar (Überfahrt) ist seit 1427 nachweisbar. 1743 erwarb Josef Höss, Bauernsohn vom Hagn in Enterrottach, durch Heirat mit der Überführertochter Anna Hagn das Überführeranwesen; seitdem betrieben mehrere Generationen Höss die Überfahrt zwischen dem Egerer Spitz und der Point.
1873 wurde auf dem Anwesen erstmals eine Gastwirtschaft, 1892 die ersten Touristenzimmer eingerichtet und 1902 von Josef Höss (1856-1929), Ökonomierat und Gründer der Motorschifffahrt am Tegernsee, auf dem Nachbaranwesen „beim Moscher“ ein Theatersaal erbaut – der größte im bayerischen Oberland. 1903 gründete der Volksschauspieler und Theaterleiter Michael Dengg (1864-1914) das Große Oberbayerische Bauerntheater, das spätere Tegernseer Bauerntheater. Dieses erfreute sich mit ständig überfüllten Aufführungen im Überfahrtsaal äußerster Beliebtheit; Dengg stellte den damals noch unbekannten Kiem Pauli (1882-1960) als festen Musiker und Kassierer an.
1905 wurde anlässlich des 1. großen Tegernseer Wintersportfests ein Galaabend veranstaltet. Emil Ganghofer zeigte die erste Kinovorstellung mit einem riesigen Lokomobile als Stromversorger. Im selben Jahr begannen im Überfahrtsaal zusammen mit dem Wallbergerverein die alljährlichen Bälle des Vitruvencorps. Emil Ganghofer war von 1903 bis 1910 Schriftführer des Wallbergervereins. Wegen „beruflicher Verhinderung“ führte er dieses Amt danach nicht mehr aus.
Am 12. August 1910 fand im Saal die Uraufführung von Ludwig Thomas Stück „1. Klasse“ statt. Thoma führte selbst Regie. Am 30. März 1930 organisierte dort der Kiem Pauli zusammen mit Professor Kurt Huber (1893-1943) das erste oberbayerische Preissingen.
Nach Denggs Tod 1914 spielte die Bauernbühne unter der Leitung seiner Frau Anna weiter, 1927 gründeten die Brüder Max und Bertl Schultes dann im Überfahrtsaal die Thoma-Bühne. Aufgeführt wurden Stücke in oberbayerischer Mundart, u.a. von Anzengruber, Ganghofer und Thoma. Einen Höhepunkt stellte die Aufführung von Thomas Tragödie „Magdalena“ im Jahre 1930 dar. Das österreichische Sänger- und Schauspielerehepaar Fritzi Massary (1882-1969) und Max Pallenberg (1877-1934) war so begeistert, dass es die Laientruppe an die Berliner Kammerspiele vermittelte.
Bis zum Zweiten Weltkrieg war der Gasthof zur Überfahrt gesellschaftlicher Mittelpunkt im Tegernseer Tal, 1942 diente er wie viele andere Hotels als Lazarett. Nach 1945 konnten Veranstaltungen und das Bauerntheater wieder aufgenommen werden. Ende 1965 stellten die neuen Besitzer, die Familie Hurler, den herkömmlichen Betrieb im Überfahrtsaal schließlich ein.
(vgl. Halmbacher, Bd. 1, S. 547ff., u. Tworek, S. 273f.)
Aus dem Gasthof wurde ein Hotel und dieses nach mehreren Renovierungen komplett neu gebaut. 2001 erfolgte die Fertigstellung. Seit 2007 wird das Hotel von der Hotelkette Althoff Hotels betrieben.
Literarisches Zeugnis (I): Thoma-Anekdote
„Mit Kiem Pauli, Bruder Peter, Emil Ganghofer und Weiß Ferdl saß Thoma in der ‚Überfahrt‘ am Tegernsee und spielte seinen Tarock. Fremde gingen durch und blieben in der Türe stehen, als man ihnen erklärte, hier sitze der berühmte bayerische Dichter Ludwig Thoma. Das Angestarrtwerden haßte Thoma über alles, er wurde immer mißmutiger. Ärgerlich schaute er zu den Damen hinüber, und als sie sich nicht entfernten, fuhr er sie an: ‚Habt’s ös koa Tür dahoam?‘ Die Fremden verstanden den Dialekt nicht, spürten aber, daß es nicht gerade eine freundliche Einladung war zu bleiben. Kopfschüttelnd räumten sie das Feld.“
(Thumser, S. 117)
Literarisches Zeugnis (II): Ganghofer-Anekdote
„Ein andermal saßen Emil Ganghofer, der Bruder Ludwig Ganghofers, Bertl Schultes, Michl Dengg und Ludwig Thoma bei einem Tarock auf der Tuften zusammen. Sie sind in ihr Spiel vertieft, aber Dengg und Schultes müssen in ihr Theater über dem See. Sie können beim besten Willen nicht länger mitmachen. Doch Emil Ganghofer will nicht aufgeben und verlädt die Gesellschaft in seinen Kahn. In der einen Hand hält er die Karten, mit der anderen lenkt er das Boot. Das Spiel geht wild und von Wind und Wellen unberührt weiter. Da merkt Schultes plötzlich, daß das Boot leckt und alle bereits bis zu den Knöcheln im Wasser stehen. Er schreit zu Ganghofer: ‚Emil, was ist los, wir ersaufen ja!‘
‚Is mir gleich‘, schreit Ganghofer zurück. ‚Ich hab ein Herz Solo!‘“
(Thumser, S. 105f.)
Dieselbe Anekdote u.d.T. „Emil Ganghofer und sein Tarock-Spiel“ dokumentiert ausführlicher Bertl Schultes in seinem Buch „Ein Komödiant blickt zurück“.